Urgeschichte der Fahner Höhen:

Der „Tonnaische Elephant“

 

Die ältesten menschlichen Spuren im heutigen Thüringen lassen sich, 400.000 Jahre alt,  an der Steinernen Rinne bei Bilzingsleben nachweisen. Auch wenn dem Homo Erectus Bilzingslebensis keine Erfolgsgeschichte im menschlichen Stammbaum gegönnt war, so setzte er doch einen Meilenstein der Menschwerdung auf Erden. Ihm sollten bald die Neandertaler folgen.

Bis dahin beherrschten Tiere unseren Landstrich, deren Vorfahren zumeist aus den damals noch fruchtbaren nordafrikanischen Steppen kamen. Die tierischen Einwanderer profitierten von nur kurz währenden Warmzeiten, die trotz vergleichsweise kühler Winter, günstige Voraussetzungen für eine große Artenvielfalt boten. Von einem Tier dieser Zeit, dem Waldelefanten, soll hier erzählt werden. Er war eines der markantesten Tiere der jüngeren Erdgeschichte und überragte in seiner Statur die heute noch lebenden Nachfahren in Asien und Afrika. 

 

Das Klima als Landschaftsgestalter

Im Verlaufe der jüngeren Erdgeschichte ist unsere Region wiederholt von Warm- und Kaltzeiten heimgesucht worden, die von langen subarktischen Abschnitten und kurzen Wärmephasen begleitet waren. Diese so genannten Interglaziale sorgten in Mitteleuropa für klimatische Bedingungen, die wir heute im Mittelmeerraum vorfinden. Sie prägten unsere Landschaft in einer opulenten Weise, die wir uns heute nicht mehr vorstellen können. Die letzte Warmzeit mit ihrem gemäßigten und niederschlagsreichen Klima bot den damaligen ersten menschlichen Bewohnern Europas recht günstige Umweltbedingungen. Darüber hinaus konnte sich von Süden eine üppige Flora und Fauna ausbilden. 

Während des Eem-Interglazials vor rund 125.000 Jahren waren die Fahner Höhen für wenige tausend Jahre ein ganzjährig beregneter und teils dicht bewaldeter Höhenzug. Eine Folge davon waren sprudelnde Karstquellen am Nordrand des Mittelgebirges, die Sedimente aus der Tiefe nach oben befördern und Schicht für Schicht ablagerten. So auch nördlich von Burgtonna, wo sich über die Jahrhunderttausende eine mächtige Travertin-Ablagerung anhäufen konnte. Unweit davon breiteten sich westlich und nördlich die Unstrut-Auen mit Teilbewaldungen, Sümpfen und Mooren aus. Um die Fahner Höhen dagegen muss die Landschaft offener gewesen sein. Zwischen Unstrut und Fahner Höhe ragten trockenere Schutthügel aus der fruchtbaren Ebene, Überbleibsel mächtiger Geröllschiebungen der vorangegangenen Saale-Eiszeit. Die bunten Gesteine, die dort bis heute abgelagert sind, hatten einen langen Weg aus dem fernen Skandinavien hinter sich, bis sie hier ihre letzte Ruhestätte fanden. Sie wurden mit dem sich von Skandinavien her ausbreitenden Eispanzer an dessen Südflanke abgelagert. Der markante Tretenburg-Hügel an der Unstrut zwischen Gebesee und Herbsleben, der Dachwiger Lerchenberg und auch der Walschberg sind steinige Zeugen der mächtigsten Eiszeit der jüngeren Erdgeschichte.

 

Konservierte Erdgeschichte

Doch zurück zum Protagonisten dieser Erzählung, dem imposanten Rüsseltier aus der Eem-Zeit, das eines neuzeitlichen Tages ein zweites Mal das Licht der Welt erblicken sollte. So geschehen vor über dreihundert Jahren in einer Sandgrube nördlich von Burgtonna, als man sich anschickte, den wertvollen Travertin aus dem versteinerten Boden zu brechen. Das im ausgehenden 17.Jh. bereits erschlossene Südfeld1 beförderte schon interessante Versteinerungen von Pflanzen und kleinen Tieren zu Tage. Doch im Jahre 1695 richtete sich die Aufmerksamkeit auf ein paar mächtige Knochen, die den aufmerksamen Betreiber des Steinbruchs veranlassten, einen Fachmann zu Rate zu ziehen. Der Fund sollte sich als archäologische Sensation herausstellen, die unter den Gelehrten der damaligen Zeit fachliche Kontroversen auslöste.

Es blieb einem eilig herbeigerufenen Forscher aus dem fernen Berlin vorbehalten, die schon bekannte Fundgrube bei Tonna genauer zu inspizieren. Mit bewundernswerter Akribie legte er Knochen um Knochen frei und machte sich unvermittelt an die wissenschaftliche Expertise des für ihn zweifelsfrei bedeutsamen Fundes. Tatsächlich stammt der erste weltweit wissenschaftlich untersuchte Fund eines europäischen Waldelefanten aus den Travertinbrüchen bei Tonna. Einige Monate später präsentierte der Historiograph Wilhelm Ernst Tentzel einer noch skeptischen Fachöffentlichkeit seinen bedeutsamen Fund. Auch wenn Tentzels herausragendes forscherisches  Gespür anfangs auf Widerstand stieß, so machten später noch viel weitere Funde deutlich, dass der mächtige Waldelefant in Mitteleuropa einst weit verbreitet war.

Fest steht: Die erste wissenschaftliche Beschreibung des so imposanten Waldelefanten fand hier in unserer Heimat statt und sorgt dafür, dass der Fundort Burgtonna für immer einen Platz in den Fachbüchern der jüngeren Erdgeschichte gefunden hat!  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Flora und Fauna der Eem-Zeit

Der europäische Waldelefant hatte eine beachtliche Größe aufzuweisen, die der des imposanten Wollhaar-Mammuts mindestens ebenbürtig war. Er gehörte nachweislich zu den größten Rüsseltieren, die die Welt je besiedelten. Bullen erreichten eine Schulterhöhe von über vier Metern bei einem Lebendgewicht von bis zu 11 Tonnen. Die Kühe dagegen waren mit bis zu drei Metern  Schulterhöhe deutlich kleiner und leichter. Die gewaltigen Stoßzähne der Bullen erreichten eine Länge von bis zu drei Metern. Es ist anzunehmen, dass die mitteleuropäische Population des Waldelefanten behaart war – eine natürliche Anpassung an das mild-gemäßigte Klima.

Einst stand der Elefant an der Spitze der Nahrungskette, der Mensch war in gut organisierten Jagdverbänden in der Lage, ihn unter Lebensgefahr zu erlegen. Ob damals auch eine Sippe Neandertaler in unseren Gefilden heimisch war, lässt sich nicht mehr rekonstruieren, aber auszuschließen ist das nicht. In den Weiten Europas gab es dazumal versprengte, maximal 40 Individuen zählende, Verbände von partiell sesshaften Frühmenschen, die sich wohl nur sehr selten begegnet sein müssen. So dürften im heutigen Thüringen, selbst unter klimatisch günstigen Bedingungen, bestenfalls einige hundert Frühmenschen gelebt haben.

Die hiesigen Waldelefanten bevorzugten offene Landschaften und teils dicht belaubte Wälder. Sie waren wichtige Landschaftsgestalter, indem sie sich intensiv in den Wäldern zu schaffen machten und als gefräßige Trampeltiere offene Parklandschaften schufen. Überhaupt hatte die interglaziale Landschaft in unserer Region eine üppige pleistozäne Tier- und Pflanzenwelt zur Folge, die je nach subklimatischen Bedingungen an Wärme, Feuchte und lange Trockenphasen angepasst war. Vorherrschend unter den großen Säugern waren in unserer Region Waldnashorn, Braunbär, Hyäne, Wildschwein und Hirsch. In den Auen tummelten sich u.a. Sumpfschildkröten und kleinere Säugetiere. Die Pflanzenwelt mit wärmeliebenden Eichen, Heckenkirschen, Dornensträuchern oder Weinreben entsprach der des heutigen Klimas in Südfrankreich. Sie alle bezeugen den damaligen Artenreichtum, der zu einem beachtlichen Teil in den Tonnaischen Steinbrüchen konserviert wurde.

Die gegenwärtige Warmzeit, das Holozän, bietet ganz ähnliche Bedingungen, die ein neuerliches Ausbreiten Wärme liebender Pflanzen und Tiere ermöglicht. Genau das passiert gerade vor unseren Augen, auch wenn es uns kaum bewusst ist. So fühlen sich etwa Goldschakal und Nilgänse bei uns wieder heimisch und mediterrane Pflanzen, die wir in heimischen Gartenmärkten erwerben können, sind den klimatischen Bedingungen der Gegenwart durchaus gewachsen.

 

Das tragische Ende

Bliebe noch zu klären, welche Umstände zum Tode unseres stolzen Waldelefanten und seiner Weggefährten geführt haben. Inzwischen belegt ist anhand von Funden im heutigen Sachsen-Anhalt, dass Jäger erfolgreiche Großwildjagd machten. Die Travertin-Gruben bei Tonna, auch wenn sie zu einem Teil schon wieder verfüllt wurden, belegen offensichtlich die kurzweilige Anwesenheit von Menschen. So barg man einen Schaber aus Quarzit, das einem geologischen Vorkommen im Einzugsbereich der Werra entstammt. Das bedeutsame Artefakt deutet darauf hin, dass die Menschen ihrer Zeit recht mobil waren und größere Streifzüge unternahmen. Bei den beiden observierten Waldelefanten von Burgtonna konnten allerdings keine Spuren menschlicher Bejagung gefunden werden.

Tentzer führt die Todesursache auf eine „Sündfluth“ zurück, die das Tonnatal einst heimgesucht haben musste. Hierbei sollen die Tiere mitgerissen und schließlich im weißen Sande begraben worden sein. Die besondere Konservierungsqualität des Travertinsandes, der unter seinem zunehmenden Gewicht gepresst wurde und versteinerte, hat hierbei wertvolle geologische Arbeit geleistet und den aufschlussreichen Fund im tonnaischen Travertin für die Nachwelt erhalten. Kein Zweifel, es muss ein tragischer Unfall gewesen sein, der unserem Waldelefanten widerfuhr, als ein zerstörerisches Unwetter am Ende des Eem-Interglazials Erdreich, Geröll, Tiere und Pflanzen mit sich riss und für lange Zeit begrub.

Schon viele Jahrzehnte, bevor sich die bislang letzte Eiszeit bei uns ankündigte, zogen sich die bis dato vorherrschenden Säugetiere aus Mitteleuropa zurück. Die letzten Verbände des europäischen Waldelefanten zogen sich in den anfangs noch fruchtbaren Mittelmeerraum zurück, bis sie auch dort endgültig ausstarben.

 

Das im ausgezeichneten Zustand erhaltene Skelett unseres Tonnaischen Waldelephanten fristet heute ein vergessenes Dasein im Kellergeschoss des Gothaer Naturkundemuseums. Es wäre eine großartige Würdigung des einst stolzen Rüsseltieres, wenn seine sterblichen Überreste ihre letzte Ruhestätte im künftigen Heimatmuseum Burgtonna finden würden. Wer sich ein Bild von den vielen versteinerten Überresten der Urzeit unserer Region machen möchte, dem sei wärmstens empfohlen, dem Museum der Natur auf Schloss Friedenstein in Gotha einen Besuch abzustatten.   

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Ingo Weidenkaff,

Tourismusverein Fahner Höhe e.V.

 

 

Quellen:

 

Bildquelle:  https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/9/98/Elephas_antiquus_first_description_1696.png/800px-Elephas_antiquus_first_description_1696.png